Katastrophenschutz

Wohin so schnell im Fall der Fälle?

Aktuell zum Katastrophenschutz siehe Katastrophenschutzwoche.

Ein Bericht in den regionalen Ausgaben der shz vom 06.10.2012 macht darauf aufmerksam, daß die personelle Besetzung des Katastrophenschutzes im Kreis Steinburg zu schwach ist und händeringend Freiwillige gesucht werden, die sich ausbilden lassen und im Katastrophenfall – auch einem schweren atomaren Unfall in Brokdorf  – die Koordinierung und Durchführung aller erforderlichen Maßnahmen übernehmen.

Aktuelle Studie des Bundesamtes für Strahlenschutz (April 2012)

Analyse der Vorkehrungen für den anlagenexternen Notfallschutz für deutsche Kernkraftwerke basierend auf den Erfahrungen aus dem Unfall in Fukushima

daraus Auszüge der Zusammenfassung:

Schlussfolgerungen für den anlagenexternen Notfallschutz
Die Ergebnisse dieser Studie lassen den Schluss zu, dass die bisherige Planungen für den anlagenexternen Notfallschutz in Deutschland bei Berücksichtigung der Erfahrungen nach dem Unfall in Fukushima nicht in allen Belangen ausreichend sind und die im Folgenden aufgeführten Probleme auftreten können:
Für viele der in dieser Studie betrachteten Unfallszenarien kann eine Ausweitung der Notfallschutz-Maßnahmen „Aufenthalt in Gebäuden“ und „Evakuierung“ sowie „Einnahme von Jodtabletten“ auf deutlich größere Gebiete nötig werden, als in der Planung vorgesehen ist.
Die Umsetzung von Notfallschutz-Maßnahmen anhand von Sektoren der Planungszonen kommt bei einer lang andauernden Freisetzungen schnell an ihre Grenzen, da oftmals mehr als die Hälfte aller Sektoren, teilweise sogar alle Sektoren betroffen sind.
Bei lang andauernden Freisetzungen muss damit gerechnet werden, dass eine einmalige Einnahme von Jodtabletten hinsichtlich der Schutzwirkung nicht ausreichend ist. Eine wiederholte Einnahme von Jodtabletten ist bislang nicht ausreichend in den Notfallschutz-Planungen berücksichtigt. Auch ist damit zu rechnen, dass die Einnahme in verschiedenen Gebieten zu unterschiedlichen
Zeitpunkte zu erfolgen hat.
Bei lang andauernden Freisetzungen ist mit zusätzlichen Problemen bei der Maßnahme „Aufenthalt in Gebäuden“ zu rechnen (z.B. Gefahr einer notwendigen ungeschützten späten Evakuierung bei hohen Nuklidkonzentrationen in der Atmosphäre), die die Durchführbarkeit dieser Maßnahme deutlich erschweren.

Die vollständige Studie ist veröffentlicht unter „BfS-SW-11/12″ (urn:nbn:de:0221-201204128010)

Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe sieht die Situation folgendermaßen:

Kapitel: Anschläge oder Unfälle in Nuklearanlagen

Radionukleare Katastrophen sind somit weiterhin nicht auszuschließen. Zwar spielt ein Unfall mit nur lokaler Freisetzung von Radioaktivität, wie bei größeren Störfällen in Atomkraftwerken, aus Strahlungsquellen, wie sie beispielsweise in Kliniken verwendet werden oder bei Transportunfällen mit radioaktiver Fracht, katastrophenmedizinisch kaum eine Rolle, da die Anzahl der Betroffenen meist überschaubar bleibt und die Lage mit lokalen Kräften gut beherrscht werden kann. Es muss jedoch davon ausgegangen werden, dass neben der gesundheitlichen Schädigung der hierbei direkt Betroffenen die psychosozialen Auswirkungen eines derartigen Szenarios praktisch die gesamte Bevölkerung betreffen würden und deshalb von besonderer Wichtigkeit sind. Dies hat beispielsweise die Tschernobyl-Katastrophe gezeigt und auch die aktuelle Havarie in Fukushima-Daiichi.
Hierin liegt nun der eigentliche Handlungsbedarf. Es werden starke Ängste geweckt, die nur schwer rational zu fassen sind: radioaktive Strahlung ist unsichtbar, ihre Wirkung zeigt sich, je nach Dosis, unter Umständen erst nach Jahren in Form von Krebserkrankungen (die ohnehin nur schwer einer bestimmten Noxe zuzuordnen sind).
Die umfassende, objektive Aufklärung der Bevölkerung bei einem Unfall mit radioaktiven Substanzen hat damit hohe Priorität. Weder sollten solche Ereignisse heruntergespielt oder gar vertuscht noch übermäßig dramatisiert werden, um Glaubwürdigkeit und Vertrauen in der Bevölkerung nicht zu verlieren. Ziel muss es sein, eine Massenhysterie zu vermeiden. Diese könnte zu unkalkulierbaren Belastungen für die Infrastruktur führen, wenn es beispielsweise zu massenhaften Selbsteinweisungen mit vermeintlichen Symptomen kommt und dadurch der Klinik- und Praxisbetrieb massiv beeinträchtigt würde.
Ein Anschlag auf ein deutsches Atomkraftwerk, vor allem aus der Luft, ist ein weiteres mögliches Szenario.
Vor allem bei den Reaktoren älterer Bauart könnte schon ein kleines Flugzeug die Betonhülle des äußeren Reaktormantels durchbrechen und Radioaktivität freisetzen. Dennoch wurde dieses Szenario bisher als äußerst unwahrscheinlich eingestuft.
Eine größere Gefahr sehen die untersuchten Berichte in einem Anschlag mit einem radioaktiv kontaminierten konventionellen Sprengsatz („Dirty bomb“). …

nachzulesen auf den Seiten 38/39 einer aktuellen Publikation des Bundesamtes aus dem Jahr 2012:
„Synopse zu ausgewählten Gefahrenberichten aus Deutschland, Europa und international
Eine Analyse im Rahmen des 4. Gefahrenberichts der Schutzkommission des Bundesministeriums des Innern
SCHRIFTEN DER SCHUTZKOMMISSION BAND 5“

ratgeber-titelFür den Fall, daß im AKW Brokdorf etwas passiert, was Auswirkungen nach draußen hat, ist nach Sichtweise von Betreiber und Behörden bestens vorgesorgt. Erstens kann ja gar nichts passieren. Und falls doch, ist doch alles geregelt: Die erforderlichen Informationen sind in einem Ratgeber für die Bevölkerung in der Umgebung des Kraftwerkes zusammengestellt. Dieser wurde in der Umgebung an jeden Haushalt verteilt. Im Fall der Fälle hat man den also auswendig gelernt oder weiß genau, wo er ist und wo sich die Lesebrille befindet. Oder sucht den Ratgeber mal eben schnell im Internet. Praktischerweise überlagern sich die Wirkungsbereiche beider Kraftwerke. Die Bevölkerung ist also doppelt betroffen. Offizielle Informationen zum Katstrophenschutz finden sich auf der Internetseite des zuständigen Kreises Steinburg.

Für Kritiker ist das zu wenig, zu langsam und nicht ausreichend.
Die Ausbreitung radioaktiver Verseuchung bei einem schweren Störfall im AKW Brokdorf könnte innerhalb einer Stunde auch die Stadt Hamburg in ca. 60 km Entfernung erreichen. Ausbreitungsmodelle für schwere Unfälle in den deutschen Kernkrafwerken hat „Spiegel-online“ im Juli 2012 veröffentlicht. Sie sind als Fotostrecke auf der entsprechenden Spiegel-online-Seite zu finden. Dort ist der Störfall Brokdorf im Bild 10 dargestellt. Die Bildunterschrift hat bei Spiegel-online leider einen Fehler:  Brokdorf soll nicht nur bis 2012, sondern bis 2021 in Betrieb bleiben.
Hier ein Ausschnitt der Darstellung:

Auszug aus dem Ratgeber für die Bevölkerung in der Umgebung.

Welche Schutzmaßnahmen sind geplant?
Die Katastrophenschutzplanung ergänzt die umfassende sicherheitstechnische Auslegung des Kernkraftwerks. Dazu wurden von den deutschen Bundesländern gemeinsame „Rahmenempfehlungen für den Katastrophenschutz in der Umgebung kerntechnischer Anlagen“ ausgearbeitet. Auf dieser Grundlage wird der behördliche Katastrophenschutz
in abgestuften Maßnahmen mit dem Ziel organisiert, die Folgen eines extrem unwahrscheinlichen Unfalls für die Bevölkerung so gering wie möglich zu halten. Art und Umfang der schadensbegrenzenden Maßnahmen sind abhängig von der Entfernung zur kerntechnischen Anlage, deren Umgebung nach dieser Empfehlung in vier Zonen und zwölf Sektoren eingeteilt ist:
_ die Zentralzone, welche die kerntechnische Anlage bis zu einer Entfernung von 2 Kilometern umschließt
_ die Mittelzone bis zu einer Entfernung von 10 Kilometern
_ die Außenzone bis zu einer Entfernung von 25 Kilometern vom Standort
_ die Fernzone bis zu einer Entfernung von 100 Kilometern vom Standort
Zusätzlich zur Messung der allgemeinen Umweltradioaktivität bestehen spezielle Messnetze zur Überwachung kerntechnischer Anlagen. Bei einem Unfall wird deren Umgebung noch intensiver durch diese Programme überwacht, wobei auch mobile Messtrupps eingesetzt werden.
Zusätzlich stehen die ständig übertragenen Daten aus der Kernreaktor-Fernüberwachung zur Verfügung. So können z. B. aus den Messwerten der Emissionen und der Ausbreitungsverhältnisse die radiologischen Auswirkungen im Voraus abgeschätzt werden.
In allen Zonen sind abgestufte Katastrophenschutzmaßnahmen vorbereitet
. Sollten Maßnahmen notwendig werden, sind die Mitarbeit und die Selbsthilfe der Bevölkerung erforderlich. Hierüber wird im Folgenden informiert.

Warnung und Unterrichtung der Bevölkerung
Die Warnung der betroffenen Bevölkerung erfolgt durch Sirenen und Lautsprecherfahrzeuge der Katastrophenschutzorganisationen.
Die Unterrichtung wird rasch und wiederholt durch amtliche Durchsagen über Rundfunk, Fernsehen oder Videotext erfolgen. Sie wird Informationen über die eingetretene Notstandssituation, das gefährdete Gebiet, Schutzanweisungen und Empfehlungen enthalten.

Verkehrseinschränkungen

Im Katastrophenfall ist der gesamte in das gefährdete Gebiet fließende Straßenverkehr entsprechend dem Sonderplan umzuleiten, um eine mögliche Gefährdung von Personen durch das Betreten oder Befahren des betroffenen Gebietes zu verhindern. Die Verkehrslenkung aus diesem Bereich heraus wird je nach Windrichtung durchgeführt.

Dabei ist eine Evakuierung nicht leicht, das angrenzende Gebiet ist auf drei Seiten von Wasser (Elbe, Nordostseekanal, Stör) umgeben, es gibt keine (Elbe) oder wenige Straßen- und Fährverbindungen und diese sind voraussehbar sofort völlig überlastet und blockiert.

Evakuierungsrouten und Aufnahmebereiche
für die Bevölkerung mit Pkw
(Karte und Erläuterung)

Jodtabletten
Jodtabletten sättigen die Schilddrüse mit nichtradioaktivem Jod und verhindern damit,
zur rechten Zeit eingenommen, die Anreicherung von radioaktivem Jod in der Schilddrüse. Im Bedarfsfall wird die Bevölkerung über die vorgesehene Schutzmaßnahme informiert, erhält Anweisungen, wann und wie die Ausgabe erfolgt und wann die Tabletten einzunehmen sind. Bei der Ausgabe wird gleichzeitig ein Merkblatt ausgehändigt.

Evakuierung
Eine Evakuierung kommt in Frage, wenn Menschen ein gefährdetes Gebiet rasch und organisiert verlassen müssen. Die Festlegung des gefährdeten Gebietes hängt unter anderem von den jeweils herrschenden Wind- und Wetterverhältnissen ab. Die evakuierte Bevölkerung wird – sofern sie das Gebiet nicht selbstständig verlässt – in ein sicheres Gebiet (Aufnahmegemeinden) gebracht, wo sie vorübergehend untergebracht, verpflegt und betreut wird. Die Evakuierungsrouten und Aufnahmebereiche
werden im Bedarfsfall bekannt gemacht; die Himmelsrichtung hängt von der Wetterentwicklung im konkreten
Fall ab. Personen, die das gefährdete Gebiet selbstständig verlassen, wird empfohlen, sich vorher zu den eingerichteten Notfallstationen zu begeben.
Die für den Katastrophenschutz zuständigen Behörden sind der Landkreis Stade und der Kreis Steinburg.

Fluchtwegekarte aus dem Ratgeber (s.o.).
Nachgetragen sind die Evakuierungszonen 2, 10 und 25 Kilometer. Die Aufnahmebereiche (siehe Fähnchen) für Evakuierte aus der 10 Kilometer-Zone liegen innerhalb der 25-Kilometer-Zone, z.B. in Itzehoe. Hauptwindrichtung ist aus Südwest, also genau auf Itzehoe zu.

Mängel beim Katastrophenschutz im Umkreis von AKW sind nicht sonderlich neu, sondern eigentlich altbekannt. Nun wird das endlich auch von staatlichen Stellen zugegeben. Anti-Atom-Initiativen in Hamburg und Schleswig-Holstein rufen angesichts der enormen Bedrohung durch das Atomkraftwerk Brokdorf in der Woche vom 05. bis 11. November 2012 zu einer Aktionswoche auf.
Während die offizielle Politik so tut, als könnte sie nach einem Super-Gau die Menschen schützen, ist immer wieder von offiziellen Katastrophenschützern “hinter vorgehaltener Hand” zu hören, dass es bei einem tatsächlichen Ernstfall in einem dichtbesiedelten Land wie Deutschland kaum etwas zu retten gibt.
Größter möglicher Unfall titelte daher der Spiegel kurz nach Fukushima und beschrieb die Hilflosigkeit der Helfer.
Die AKWs Krümmel und Brunsbüttel würden im Falle eines schweren Unfalles Hamburg mit erfassen. Beide sind abgeschaltet, aber nach wie vor mit Brennelementen ausgestattet und somit gefährlich, wie auch Fukushima gezeigt hat. Das AKW Brokdorf liegt rund 55 Kilometer nordwestlich von Hamburgs Stadtmitte. Der Wind weht in Norddeutschland häufig aus Nordwest. Brokdorf soll noch bis 2021 betrieben werden, dann folgen mindestens 5 Jahre Nachbetriebsphase und weitere ca. 15 Jahre des Rückbaus. Für mindestens 15 bis 20 Jahre ist das AKW Brokdorf demnach noch „scharf“ und eine strahlende Gefahr besonders auch für den Großraum und die Stadt Hamburg. Die Erkenntnisse aus den Ereignissen in Fukushima lassen
ahnen, wie katastrophal Hamburg und viele hundertausende Menschen betroffen sein könnten.
Deutlich wird das seit Jahren auch in Studien, die bereits zu Beginn der 90er Jahre erstellt wurden und nahelegen, dass es im Ernstfall keine wirkliche Hilfe geben wird. Eine solche Studie über die Ausbreitung der radioaktiven Wolke nach einem Super-Gau im heute stillgelegten AKW Krümmel stammt aus dem Jahr 1992, wurde aber aufgrund ihrer Brisanz erst nach massiven Protesten 1995 veröffentlicht. Denn sie  zeigt detailliert auf, was in einem atomaren Katastrophenfall auf die Millionenstadt Hamburg zukommen würde. In Hamburg (nur Gebiet der Stadt Hamburg!) wären rund 1,2 Millionen Menschen zu evakuieren. Hamburg hat 1,8 Millionen Einwohner, das dicht besiedelte Umland nicht mitgerechnet. Langfristig wäre mit rund 45.000 bis 107.000 Todesfällen zu rechnen. Hamburg hat eine Fläche von 755 km². Auch 50 Jahre nach dem angenommenen Unfall in Krümmel könnten ca. 410 km² nicht genutzt werden, 350 km² wären auch nach dieser Zeit  für die Nahrungsmittelproduktion nicht mehr verwendbar. Voraussetzung ist, daß es während des Unfalls keinen Niederschlag gäbe, also keine konzentrierte Ansammlung von strahlendem Material vorkommt, sondern dieses „abtransportiert“ wird. Hamburg hat jährlich rund 129 Regentage. Diese Studie liegt als PDF vor.

Für einen Kernschmelzunfall im AKW Brokdorf ist eine entsprechende Studie nicht verfügbar.